Die Nachgeschichte
Das Olympia-Attentat von 1972 markierte einen tiefen Einschnitt. Was geschah in den ersten Tagen nach dem Scheitern der Befreiungsaktion und dem Tod der Geiseln? Welche Auswirkungen hatten die Geschehnisse in Deutschland und Israel? Welche Rolle spielten die Hinterbliebenen bei der Aufarbeitung der Ereignisse? Wie wird seither in München und Fürstenfeldbruck an die Ermordung der israelischen Sportler und den Tod Anton Fliegerbauers erinnert?
Der Morgen des 6. September 1972
Am Morgen des 6. September bot sich auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck ein Bild des Grauens. Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) sicherten den Tatort um die beiden Helikopter und die Leichen.
Im Olympischen Dorf versammelten sich währenddessen Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt. Bei der Pressekonferenz übernahmen die bundesdeutschen Entscheidungsträger keine Verantwortung für die Geschehnisse in Fürstenfeldbruck. Vielmehr kritisierten sie die israelische Regierung und Politiker verschiedener arabischer Staaten: Die israelische Regierung habe die Geiseln gefährdet, indem sie die von den Geiselnehmern geforderte Freilassung der inhaftierten Palästinenser verweigert habe.
Ägypten und andere arabische Länder hätten die Bundesregierung in ihrem Bemühen, die Krise beizulegen, nicht ausreichend unterstützt. Der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber bestritt, dass der Tod der Geiseln auf Fehler der Polizei zurückzuführen sei. In einer ersten Stellungnahme der Polizei zum Einsatz hieß es: „Mit der Entscheidung des Staates Israel, den Forderungen der Terroristen nicht nachzugeben, war über die Geiseln das Todesurteil gefällt.“
Staatstrauer in Israel
Am Morgen des 7. September verlas ein Sprecher des israelischen Rundfunks die Namen der getöteten Sportler im Radio. Schon früh am Tag wurde der Sarg des Gewichthebers David Berger in die USA ausgeflogen. US-Präsident Richard Nixon hatte eine Maschine der Air Force geschickt, um den Toten in seinen Geburtsort in Ohio zu überführen.
Später landete in Tel Aviv ein Flugzeug mit den Särgen und den überlebenden Sportlerinnen und Sportler sowie den Delegationsmitgliedern an Bord. Israel hatte seine gesamte Delegation von den Olympischen Spielen zurückgeholt. Nach einer militärischen Zeremonie auf dem Flughafen in Tel Aviv wurden die Toten beigesetzt. Vertreter der Bundesrepublik, darunter der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, nahmen an der Trauerfeier teil.
Die israelische Regierung erklärte den 7. September zum Staatstrauertag. Geschäfte und Behörden blieben geschlossen. Die Flaggen wehten auf Halbmast. Der Historiker und Journalist Aaron J. Klein fasste Jahrzehnte später in Worte, welche Tragweite der gewaltsame Tod der elf jüdischen Sportler auf deutschem Boden hatte.
„Das Massaker von München stellte alles, was die junge Nation bisher erlebt hatte, in den Schatten. Es stellte eine Demarkationslinie dar, die die jüngste Geschichte in die Zeit vor und nach München einteilte. Auch vorher schon hatte Israel schwere Stunden durchlitten, aber München traf einen Nerv, durchtrennte das schützende Narbengewebe mitsamt den Sehnen. Wieder einmal waren Juden auf deutschem Boden zur Schlachtbank geführt worden. Bilder von Israels besten Athleten, gefesselt, unfähig, den drohenden Tod abzuwenden, fügten der Seele der Nation eine schwere Wunde zu. Ein Gefühl der Hilflosigkeit machte sich breit. Erst siebenundzwanzig Jahre waren verstrichen, seit sechs Millionen Juden in Lager gepfercht und ermordet worden waren. Jetzt brachen die Wunden des Holocaust wieder auf und bluteten.“
Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte. 2. Aufl. München, S. 107.
Die Beerdigung von Anton Fliegerbauer
Die Stadt München richtete am 8. September auf dem Münchner Waldfriedhof ein Ehrenbegräbnis für den Polizisten Anton Fliegerbauer aus, der beim Einsatz in Fürstenfeldbruck von einer Kugel tödlich getroffen worden war. Oberbürgermeister Georg Kronawitter hatte der Witwe bereits am Tag nach der Todesnacht einen Kondolenzbesuch abgestattet. Fliegerbauers Kolleginnen und Kollegen riefen zu einer Spendenaktion für dessen Familie auf. Mehrere Hundert Polizistinnen und Polizisten sowie offizielle Vertreterinnen und Vertreter aus Deutschland und Israel nahmen an der Beisetzung teil. Ministerpräsident Alfons Goppel reihte sich in den Trauerzug ein, Bundespräsident Gustav Heinemann und Kanzler Willy Brandt legten Kränze am Grab nieder. Ein Vertreter Israels bedankte sich für den Einsatz Fliegerbauers und erklärte, dass Fliegerbauer in das Gedenkbuch der israelischen Polizei eingetragen werde.
Offizielle Bewertung des Polizeieinsatzes
Schon bald setzte eine Diskussion über den Polizeieinsatz in Fürstenfeldbruck ein. Hatten die deutschen Behörden versagt? Die Verantwortlichen gerieten zunehmend unter Druck. Bereits kurz nach den Ereignissen in Fürstenfeldbruck veröffentlichte die bayerische Polizei eine „offizielle Darstellung“, die im Wortlaut in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wurde. Darin hieß es unter anderem, dass die Polizeischützen bei der ersten Schussabgabe „die größtmögliche Zahl der Terroristen ausgeschaltet“ hätten. Dass die Schützen zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, um wie viele Geiselnehmer es sich handelte, wurde nicht erwähnt. Am 18. September kam der Innenausschuss des Bundestags zu dem Schluss, dass eine parlamentarische Untersuchung des Vorfalls nicht nötig sei.
Öffentliche Kritik
Trotz der offiziellen Darstellungen nahm die Kritik an den deutschen Behörden zu. Zvi Zamir vom israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad, der in Fürstenfeldbruck vor Ort gewesen war, sprach gegenüber der israelischen Regierung davon, dass es „grobe Mängel auf der operativen Ebene und in der Bereitschaft der bayerischen Regierung gab, ernstzunehmende Maßnahmen zur Befreiung der Geiseln zu unternehmen.“
Auch in den bundesdeutschen Medien wurde Kritik am Einsatz laut: Fünf Präzisionsschützen seien zu knapp kalkuliert, die Polizei allgemein zu schlecht ausgebildet und die Gewehre für den Einsatz nicht geeignet gewesen. Zudem sei der nächtliche Einsatz in Fürstenfeldbruck falsch ausgeleuchtet gewesen, da sich unter den Helikoptern Schatten gebildet hätten, in denen sich die Geiselnehmer vor den Polizeischützen verbergen konnten. Auch der plötzliche Abzug des polizeilichen Einsatzkommandos aus dem Flugzeug wurde kritisiert. Dadurch hätten die Geiselnehmer sofort bemerkt, dass es sich um eine Falle gehandelt habe. Zudem seien die Panzerfahrzeuge zu spät nach Fürstenfeldbruck beordert worden.
Die Gründung der GSG 9
Die bayerische Polizeiführung hatte sich wenige Tage nach den Ereignissen mit ihrem Einsatz zufrieden gezeigt: „Bei objektiver Würdigung aller Gesichtspunkt kann die Polizeiführung feststellen, daß sie nicht nur nichts falsch gemacht hat, sie hätte auch mit ihren Mitteln (personell und materiell) unter den gegebenen Umständen nichts besser machen können.” Für Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher stand jedoch fest, dass die Polizei künftig besser auf mögliche Bedrohungen und Ereignisse dieser Art vorbereitet sein müsse. Er war der Meinung, dass die Bundesrepublik eine Sondereinheit benötigte, die für Geiselnahmen eigens ausgebildet und mit dem nötigen technischen Equipment ausgestattet war. Genscher beauftragte deshalb Ulrich Wegener vom Bundesgrenzschutz mit dem Aufbau einer solchen Einheit. Im April 1973 meldete Wegener, dass die Truppe bereit sei. Sie trug den Namen „Grenzschutzgruppe 9“, kurz GSG 9. Die Ereignisse von München und Fürstenfeldbruck führten zu einer Neuausrichtung der bundesrepublikanischen Sicherheitspolitik. Gleichzeitig wurde auch die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verbessert.
Die Ausweisung arabischer Staatsangehöriger
Die Ereignisse vom 5. und 6. September 1972 wirkten sich auch auf das Leben der in Deutschland wohnenden Araberinnen und Araber aus. Etwa 100 Personen, die sich für palästinensische Belange engagierten, wurden als Reaktion auf die Geiselnahme aus der Bundesrepublik ausgewiesen.
Unter ihnen war der Ägypter Magdi Gohary, der sich den Behörden am 5. September als Übersetzer angeboten hatte. Er hatte mit den Geiselnehmern gesprochen und auch mit Vertretern arabischer Länder telefoniert, die das palästinensische Kommando davon überzeugen sollten, die israelischen Geiseln freizulassen.
Das Auswärtige Amt lobte die Hilfsbereitschaft des Mannes. Zwei Wochen später nahm ihn die bayerische Polizei in Gewahrsam und schob ihn wenige Stunden später mit weiteren arabischen Personen aus Deutschland ab. Von seiner Frau und seinem Kind konnte er sich nicht mehr verabschieden. Gohary hatte zwölf Jahren in Deutschland gelebt und sich im Münchner Palästina-Komitee engagiert.
Das Verbot palästinensischer Organisationen
Außerdem verbot das Bundesinnenministerium die General-Union Palästinensischer Studenten (GUPS) und die General-Union Palästinensischer Arbeiter (GUPA), die vom Verfassungsschutz als Hilfsorganisationen der Fatah eingestuft wurden. Dass die beiden Organisationen in irgendeiner Verbindung zu der Geiselnahme standen, konnte nicht festgestellt werden.
Die Bundesregierung änderte darüber hinaus die Einreisebestimmungen für alle Personen aus arabischen Ländern ‒ eine Entscheidung, die insbesondere die diplomatischen Beziehungen zu Ägypten stark belastete. Da sich die Maßnahmen gegen eine ethnische Gruppe richteten, wurden sie von verschiedenen arabischen Staaten öffentlich als rassistisch kritisiert.
Die Übergabe der getöteten Geiselnehmer an Libyen
Die für das Olympia-Attentat verantwortliche palästinensische Organisation „Schwarzer September” forderte bereits am 7. September, die Leichen der fünf getöteten Geiselnehmer zu überführen und die drei verhafteten Geiselnehmer freizulassen. Andernfalls würde man sich an der Bundesrepublik rächen. Auf Drängen des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi gab die deutsche Regierung die Leichen der fünf Geiselnehmer frei. Am 12. September 1972 wurden sie nach Tripolis ausgeflogen. Dort wartete bereits eine Menschenmenge, die die Särge vom Märtyrerplatz zum Sidi-Munajdir-Friedhof trug. Die Geiselnehmer hatten ein Testament hinterlassen, in dem es hieß: „Wir sind weder Mörder noch Banditen. Wir sind verfolgte Menschen ohne Land und Heimat.“ Die getöteten Geiselnehmer wurden als „heilige Märtyrer“ und ihre Mission als „eine der erhabensten und tapfersten in der Geschichte der Menschheit“ gepriesen. Die Menge rief: „Wir alle sind der Schwarze September!“ Tagelang hallte dieser Ruf bei Demonstrationen in der arabischen Welt wider.
Die Freipressung der inhaftierten Geiselnehmer am 29. Oktober 1972
Drei der acht Geiselnehmer hatten überlebt und kamen in deutsche Gefängnisse. Ende September drohte ein Sprecher des „Schwarzen September“ damit, dass man die drei Geiselnehmer aus den Haftanstalten herausholen werde, sobald sie sich von ihren Verletzungen erholt hätten. Diese Drohung wurde am 29. Oktober 1972 Realität. Ein palästinensisches Kommando entführte eine Lufthansa-Maschine, die in Beirut gestartet war und über Ankara und München nach Frankfurt fliegen sollte. Die Flugzeugentführer verlangten von der Bundesrepublik, die drei inhaftierten Geiselnehmer gegen die Passagiere und die Besatzung der Maschine auszutauschen. Die Bundesregierung war nach kurzer Beratung bereit, die Forderungen zu erfüllen.
Die drei Geiselnehmer wurden noch am selben Tag zum Flughafen München-Riem gebracht, wo sie in das gekaperte Flugzeug aufgenommen werden sollten. Nachdem die Flugzeugentführer mehrfach andere Flughäfen für den Austausch vorgeschlagen hatten, flog die Bundesregierung die Geiselnehmer schließlich von München nach Zagreb aus. Von dort ließen sich die Entführer mit den Geiselnehmern nach Tripolis fliegen, wo sie die Passagiere und die Besatzung der Lufthansa-Maschine freiließen. Damit waren die drei überlebenden Geiselnehmer nur wenige Wochen nach dem Olympia-Attentat wieder auf freiem Fuß. Bei ihrer Ankunft in Libyen wurden sie als Helden gefeiert.
Die israelische Regierung hatte sich vehement gegen den Austausch der Geiselnehmer ausgesprochen und warf der Bundesregierung vor, dass sie die Geiselnehmer aus Angst vor Anschlägen so schnell wie möglich habe loswerden wollen. Die Entscheidung der Bundesregierung, dem Austausch der Geiselnehmer zuzustimmen, trug wesentlich dazu bei, dass sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel verschlechterte.
Willy Brandt erklärte in einem Brief an Golda Meir seine Beweggründe für die Freilassung der Geiselnehmer.
Botschaft des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland Die kürzliche Entführung einer Lufthansa-Maschine hat der bayerischen Staatsregierung und der Bundesregierung eine schwere Entscheidung abverlangt. Unser Handeln wurde von der Überzeugung bestimmt, dass der Rettung der gefährdeten Menschen Vorrang vor allen anderen Erwägungen gebühre. In diesem konkreten Fall gab es keine andere Wahl. Die am 29. Oktober eingenommene Haltung der Bundesregierung bedeutet kein Zurückweichen gegenüber dem Terrorismus. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft mit ganzer Kraft und allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln terroristischen Anschlägen entgegenstellen. Wir werden nicht dulden, dass unser Land zum Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen wird. Wir werden unsere Sicherheitsmaßnahmen ausbauen und uns verstärkt für eine internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus einsetzen. Sie werden verstehen, dass ich schmerzlich berührt bin von Äusserungen, die im Zusammenhang mit der Entführung der Lufthansa-Maschine von israelischer Seite gefallen sind. Mit allem Nachdruck muß ich widersprechen, wenn hierbei Parallelen zu einer verbrecherischen Periode deutscher Politik gezogen werden. Es erfüllt mich mit Sorge, dass durch diese Vorgänge das Verhältnis zwischen unseren Ländern belastet werden könnte, und ich meine, wir sollten uns in zemeinsamem Bemühen dafür einsetzen, dass die deutsch-israelischen Beziehungen keinen Schaden nehmen. The recent highjacking of a Lufthansa plane has placed the Bavarian State Government and the Federal German Government before a grave decision. Our way of action was motivated by the conviction that the rescue of endangered lives must have precedence before all other considerations. In this particular case there was no other choice. The attitude which the Federal Government took on October 29th, does not mean a surrender to terrorism. The Federal Government will also in future oppose vigorously and with all the means in its power the attacks of terrorism. There will not permit our country to become the scene of terrorist violence. Je shall. improve our security messures and we shall increase our efforts for international cooperation in the combat against terrorism. You will understand th
Dass Kommando „Caesarea“
Israel forderte Vergeltung für die Ermordung seiner Sportler. Wenige Tage nach dem blutigen Ende der Geiselnahme in Fürstenfeldbruck griff die israelische Armee Palästinenserlager in Syrien und im Libanon an und tötete Hunderte Menschen ‒ nach Angaben der Armee handelte es sich dabei um „Terroristen“. Zudem bildete der Auslandsgeheimdienst Mossad ein Kommando mit dem Namen „Caesarea“ (dt. „Zorn Gottes”). Die Einheit sollte die an der Planung und Durchführung des Olympia-Attentats beteiligten Personen sowie weitere Mitglieder des „Schwarzen September” ausfindig machen und gezielt töten. Den folgenden Militäroperationen fielen auch Unbeteiligte zum Opfer, die von dem staatlichen Exekutionskommando verwechselt oder von Sprengkörpern, die die Zielpersonen ausschalten sollten, mit in den Tod gerissen wurden. Anfang der 1990er Jahre stellte die Sondereinheit ihre Operationen ein. Mindestens 20 Personen waren bis dahin getötet worden. Diejenigen, die das Olympia-Attentat geplant hatten, waren nicht darunter.
Die Forderungen der Angehörigen nach Aufklärung
Die Familien der Opfer forderten schon kurz nach dem Olympia-Attentat von den deutschen Behörden Aufklärung darüber, unter welchen Umständen ihre Angehörigen ihr Leben verloren hatten. Viele Fragen waren unbeantwortet geblieben. Die Familien versuchten auch, Zugang zu den Autopsieberichten und den Ergebnissen der ballistischen Untersuchungen zu erhalten – ohne Erfolg. 1976 besuchte Hans-Dietrich Genscher als deutscher Außenminister Israel. Er weigerte sich zunächst, sich mit den Familien der ermordeten Sportler zu treffen. Erst Ankie Spitzers Drohung, sie werde sein Flugzeug am Abflug hindern, überzeugte ihn, sich mit ihr und Ilana Romano zu treffen. Die beiden Witwen verlangten die Herausgabe der bisher zurückgehaltenen Informationen über die Ereignisse in München und Fürstenfeldbruck. Sie forderten die Bundesregierung auf, einen Entschädigungsplan für die Hinterbliebenen auszuarbeiten und ein Denkmal für die Opfer zu errichten.
Deutsche Reaktionen
Hans-Dietrich Genscher versprach, schriftlich auf ihre Forderungen einzugehen. Zehn Monate später traf seine Antwort im Außenministerium in Jerusalem ein. Genscher stritt darin ab, dass die Bundesregierung im Besitz von Dokumenten über die Geiselmorde in Fürstenfeldbruck sei. Auf die Forderung nach der Errichtung eines Denkmals ging Genscher in seinem Brief mit keinem Wort ein. Man sei aber bereit, insgesamt zwei Kindern der Opfer für ein Jahr ein Stipendium an einer deutschen Universität zu gewähren. Diese Stipendien, so Genscher, würden nur Kindern gewährt, die finanzielle Bedürftigkeit nachweisen könnten. Die Familien lehnten das Angebot ab und setzten ihren Kampf um die Freigabe der Informationen fort. Ankie Spitzer und Ilana Romano trafen sich in den folgenden Jahren mit nahezu jedem hochrangigen Vertreter der Bundesrepublik, der zu Besuch in Israel war.
Neuer Impuls zur Aufarbeitung 1992
Erst 1992 ‒ 20 Jahre nach dem Olympia-Attentat ‒ kam Bewegung in die Angelegenheit, als sich Ankie Spitzer bei einem TV-Interview im ZDF an die deutschen Zuschauerinnen und Zuschauer wandte. Sie berichtete von ihren vergeblichen Versuchen, detaillierte Informationen über die Ereignisse in München und Fürstenfeldbruck sowie den Tod ihres Mannes zu erhalten. Sie konnte nach wie vor nicht glauben, dass es keinerlei Aufzeichnungen über die Todesnacht geben sollte. Wenige Wochen nach dem Interview wurden Spitzer einige Dokumente zugespielt: Es handelte sich um Auszüge aus den Autopsieberichten zu ihrem Mann, zu David Berger und zu Yossef Gutfreund sowie um ballistische Analysen für fast jedes der Opfer.
Ankie Spitzer verlangte nun vollen Zugang zu den Akten. Die zuständigen bayerischen Behörden lehnten dies jedoch ab. Bei einem TV-Auftritt konfrontierte Spitzer – live aus Tel Aviv zugeschaltet – den bayerischen Justizminister mit diesen Dokumenten, da dieser die Existenz von Unterlagen bisher geleugnet hatte. Sie zog einen Papierstoß hervor und begann, die offiziellen Ergebnisse der ballistischen Untersuchungen vorzulesen. Die Oppositionsparteien forderten im Anschluss an diesen Auftritt die Freigabe des gesamten Aktenmaterials.
Die Öffnung der Akten und eine Schweigeminute in Tokio 2021
Ende August 1992 wurden die Akten laut offizieller Darstellung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv gefunden. Das Material war umfangreich. Tausende Seiten und Hunderte Fotografien gaben Einblick in die letzten Stunden der elf israelischen Sportler. Die Unterlagen versetzten die Familien auch in die Lage, den Fall vor Gericht zu bringen und Entschädigungszahlungen einzuklagen. Der Prozess gegen die Bundesrepublik, den Freistaat Bayern und die Stadt München wurde im Jahr 1994 geführt. Schließlich wurde den Familien ein Vergleich angeboten. Die deutsche Seite bot den Klägerinnen und Klägern eine Summe von umgerechnet etwa drei Millionen Euro an, die unter den Angehörigen aufgeteilt werden sollte. Wegen der hohen Prozesskosten blieben den Familien der elf Opfer zusammen etwa 900.000 Euro.
Seit 1972 kämpfen die Angehörigen für das Andenken an die ermordeten Sportler. Jahrzehntelang forderten die Hinterbliebenen vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ein Gedenken an die ermordeten israelischen Sportler ein. Das IOC lehnte dies, trotz prominenter Unterstützer wie dem US-Präsidenten Barack Obama, mehrfach ab. 2021 war es endlich so weit: Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in Tokio fand erstmals eine Schweigeminute für die Opfer von 1972 statt. Ankie Spitzer und Ilana Romano zeigten sich erleichtert: „Wir haben endlich Gerechtigkeit für die Ehemänner, Väter und Söhne, die in München ermordet worden sind.“
Gedenkorte in München und Fürstenfeldbruck
Nach dem Ende der Olympischen Spiele 1972 begann auch die Diskussion darüber, wie man in München an die Geiselnahme erinnern und ihrer Opfer gedenken könne. Am 8. Dezember 1972 wurde eine Gedenktafel an der Wand des Hauses in der Connollystraße 31 angebracht, die bis heute in deutscher und hebräischer Sprache an den gewaltsamen Tod der elf israelischen Olympia-Teilnehmer erinnert. Zudem setzten Diskussionen über die zukünftige Nutzung des Hauses ein. Es wird seither als Gästehaus der Max-Planck-Gesellschaft für ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genutzt und ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Deutlicher sichtbar wurde die Erinnerung an das Attentat in München erst im Jahr 1995: Auf dem Olympiagelände wurde am 27. September 1995 ein Mahnmal enthüllt, die zehn Meter breite steinerne Skulptur „Klagebalken“ des Bildhauers Fritz Koenig. Sie zeigt die Namen der elf ermordeten Sportler und des Polizisten, der beim Einsatz in Fürstenfeldbruck getötet wurde. Vier Jahre später, im September 1999, wurde auch in Fürstenfeldbruck eine Gedenkstätte eingeweiht: Zwölf stilisierte Flammen, die aus einer Granitschale emporsteigen, erinnern seitdem vor den Toren des Fliegerhorstes an die Ermordeten. Hans-Jochen Vogel, der als Oberbürgermeister die Olympischen Sommerspiele von 1972 nach München geholt hatte, wünschte sich in seiner Rede, „dass alle, die an dem Mahnmal vorbeikommen, es nicht nur anschauen, sondern sich auch darüber Gedanken machen, was sie tun können, damit neue Gewalt gegen Minderheiten, gegen Schwächere keine Chance mehr hat.” 2017 wurde dann der „Erinnerungsort Olympia-Attentat” im Olympiapark eröffnet ‒ ein Pavillon, der multimedial über die Ereignisse des 5. und 6. September 1972 informiert.
Der ehemalige Fliegerhorst auf dem Gelände der Bundeswehr in Fürstenfeldbruck ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und kann deshalb nicht als Erinnerungsort genutzt werden. Mit diesem digitalen Erinnerungsort hat der Landkreis Fürstenfeldbruck die Möglichkeit geschaffen, sich im digitalen Raum nicht nur mit dem historischen Ort und seiner Geschichte auseinanderzusetzen, sondern auch die Erinnerung an das Attentat wachzuhalten und seiner Opfer zu gedenken.
Autorin und Autoren: Dominik Aufleger, Anna Greithanner, Robert Wolff