Wir gedenken der Opfer

Der Traum von Olympia brachte im August 1972 elf israelische Männer nach München. Sie alle einte die Begeisterung für den Sport: Gewichtheben, Fechten, Ringen, Sportschießen und Leichtathletik. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen ‒ als Trainer, Kampfrichter oder Athlet ‒ war ein Höhepunkt jeder sportlichen Karriere. Zwei Wochen nach ihrer Ankunft im Olympischen Dorf nahm das palästinensische Kommando „Schwarzer September“ die elf hoffnungsvollen Sportler, Ehemänner, Väter und Söhne als Geiseln und machte sie zum Spielball eines internationalen Konfliktes. Am 5. und 6. September 1972 starben alle Geiseln eines gewaltsamen Todes. Auch der Polizist Anton Fliegerbauer kam bei dem gescheiterten Befreiungsversuch auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck ums Leben.

David Berger bei einem Wettkampf auf der Makkabiade, Tel Aviv 1965

David Berger 

דוד ברגר
24. Mai 1944, Cleveland (Ohio), USA – 6. September 1972, Fürstenfeldbruck

David Berger wächst als ältestes von drei Geschwistern in einer jüdischen Familie in Cleveland, Ohio auf. Er macht Abschlüsse in Psychologie und Betriebswirtschaft und promoviert in Jura. Doch seine wahre Begeisterung gilt dem Gewichtheben. Mit Mitte 20 wandert er nach Israel aus, um sich seinen größten Traum zu erfüllen: die Teilnahme an den Olympischen Spielen.

In München tritt er als Gewichtheber an, scheidet jedoch schon bald aus dem Wettkampf aus. Berger bleibt im Olympischen Dorf, um die Wettkämpfe der anderen Teammitglieder zu verfolgen. Am Morgen des 5. September dringt das palästinensische Kommando in die Appartements der israelischen Sportler ein und nimmt auch Berger als Geisel. Berger stirbt in der Nacht zum 6. September auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck an einer Rauchvergiftung.

Ze’ev Friedman

זאב פרידמן
10. Juni 1944, Prokopjewsk, damals Sowjetunion, heute Russland – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Ze’ev Friedman wächst in der Sowjetunion auf. Seine Eltern stammen aus Polen und sind vor dem NS-Regime in die Sowjetunion geflohen. Viele ihrer Verwandten haben die Shoah nicht überlebt. Die Familie möchte nach Israel emigrieren und kehrt dafür 1957 nach Polen zurück. 1960 gelingt die Ausreise nach Israel. Friedman schließt dort die Schule ab. Er ist ein begabter Sportler und trainiert zunächst vor allem als Turner. Später wendet er sich dem Gewichtheben zu und gewinnt die israelischen Meisterschaften. Friedman kann sich auch für viele internationale Wettkämpfe qualifizieren.

Für den begeisterten Sportler ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen von großer Bedeutung. Bei den Wettkämpfen der Gewichtheber in München stellt Friedman mehrere israelische Rekorde in seiner Gewichtsklasse auf. Als das palästinensische Kommando seine Unterkunft stürmt, wird er als Geisel genommen. In der Nacht des 5. September wird er von den Geiselnehmern in Fürstenfeldbruck erschossen.

Ze’ev Friedman als Drittplatzierter bei den Asian Weightlifting Championship, Manila 1971
Gutfreund (Mitte) am Abend des 4. September 1972 im Deutschen Theater, München 1972

Yossef Gutfreund

יוסף גוטפרוינד
1. November 1931, Chișinău, damals Rumänien, heute Republik Moldau – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Yossef Gutfreund wird in Rumänien geboren. Seine Familie überlebt den Holocaust, weil sie sich immer wieder verstecken kann. 1948 wandert die Familie nach Israel aus. Dort eröffnen Gutfreunds Eltern eine kleine Pension, er selbst ist im Elektrohandel tätig. Er heiratet und wird Vater zweier Töchter. Gutfreund ist begeisterter Ringer. Neben eigenen Wettkämpfen ist er auch als Kampfrichter tätig. In dieser Funktion reist er 1964 zu den Olympischen Spielen in Tokio.

Für die Olympischen Spiele in München wird Gutfreund als erfahrener Kampfrichter erneut ausgewählt. Als das palästinensische Kommando sein Appartement in der Connollystraße stürmen will, stemmt er sich gegen die Tür und kann die Geiselnehmer für kurze Zeit aufhalten. Damit ermöglicht er es seinem Teamkollegen Tuvia Sokolsky, den Geiselnehmern zu entkommen. In der Nacht des 5. September wird Yossef Gutfreund in Fürstenfeldbruck von den Geiselnehmern erschossen.

Eliezer Halfin

אליעזר חלפין
18. Juni 1948, Riga, damals Sowjetunion, heute Lettland – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Eliezer Halfin wächst mit seiner Schwester in Riga auf. Seine Eltern haben die Shoah überlebt, aber viele ihrer Angehörigen verloren. Nach vielen vergeblichen Bemühungen kann die Familie 1969 nach Israel auswandern. Halfin, der seit seiner Jugend als Ringer trainiert und mit Erfolg Wettkämpfe bestritten hat, findet in Israel Anschluss an das Wingate-Institut, das nationale Sportzentrum. Dort trifft er auf Moshe Weinberg, der ihm fortan als Trainer zur Seite steht. Mit ihm bereitet sich Halfin auf seinen großen Traum vor: die Teilnahme an den Olympischen Spielen.

Halfin kann sich qualifizieren und reist mit seinem Trainer nach München. Zwischen dem 27. und dem 29. August bestreitet er drei Kämpfe und kann einen davon für sich entscheiden. Auch nach dem Ende seiner Wettkämpfe bleibt er in München, verfolgt die Wettkämpfe seiner Teamkameraden und genießt das olympische Treiben. Beim Überfall des palästinensischen Kommandos auf die Appartements der israelischen Sportler wird er als Geisel genommen. In der Nacht des 5. September erschießen ihn die Geiselnehmer auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck.

Eliezer Halfin mit seinem Trainer Moshe Weinberg, München 1972
Yossef Romano (Mitte) nach seiner Verletzung im Wettkampf, München 1972

Yossef Romano

יוסף רומנו
15. April 1940, Bengasi, damals Italienisch-Libyen, heute Libyen – 5. September 1972, München

Yossef Romano verbringt seine ersten Lebensjahre in Libyen, das damals eine italienische Kolonie war. 1946 flieht die Familie vor antijüdischen Ausschreitungen nach Palästina. Romano ist das viertälteste von elf Geschwistern. Nach der Schule macht er eine Ausbildung zum Raumausstatter. Ein Zufall bringt ihn mit 20 Jahren zum Gewichtheben: Ein Trainer beobachtet, wie Romano am Strand einen Freund in die Luft hebt, und spricht ihn an. Schon bald gewinnt er erste Wettkämpfe und ist über Jahre hinweg der beste israelische Gewichtheber seiner Gewichtsklasse. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1964 bekommen er und seine Frau Ilana drei Kinder.

Romano qualifiziert sich für die Olympischen Spiele und reist nach München. Bei seinem Wettkampf am 31. August zieht er sich einen Sehnenriss zu und muss die Spiele abbrechen. Er plant, vorzeitig abzureisen, um sich in Israel operieren zu lassen. Einen Tag vor der geplanten Abreise überfällt das palästinensische Kommando die Appartements der israelischen Sportler. Romano widersetzt sich den Geiselnehmern und wird niedergeschossen. Die Geiselnehmer lassen keinen Arzt zu ihm. Yossef Romano stirbt vor den Augen seiner Kameraden.

Kehat Schor

קהת שור
21. Februar 1919, Podu Iloaiei, Rumänien – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Kehat Schor wächst in Rumänien auf. Mit seinen Eltern überlebt er den Holocaust. Nach dem Krieg lernt er seine zukünftige Frau kennen. Die beiden heiraten und werden Eltern einer Tochter. Jahrelang bemüht sich Schor vergeblich um eine Ausreisegenehmigung nach Israel. Erst 1963 kann die Familie auswandern. In Israel arbeitet der talentierte Sportschütze als Trainer und begleitet die israelischen Schützen 1968 zu den Olympischen Spielen in Mexiko. Auch 1972 können sich zwei israelische Sportschützen für Olympia qualifizieren.

Als erfahrener Trainer begleitet Schor die beiden Schützen Henry Hershkovitz und Zelig Shtorch nach München. Als das palästinensische Kommando in die Appartements der israelischen Sportler eindringt, wird Schor als Geisel genommen. Hershkovitz und Shtorch gelingt die Flucht. Kehat Schor wird in der Nacht des 5. September von den Geiselnehmern auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck erschossen.

Kehat Schor (4. v. links) im Kreise der israelischen Delegation, München 1972
Shapira als Leichtathletik-Trainer, Tel Aviv ca. 1966/67

Amitzur Shapira

עמיצור שפירא
9. Juli 1932, Tel Aviv, damals Palästina, heute Israel – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Amitzur Shapira wächst in Tel Aviv auf. Seine Eltern haben die Sowjetunion kurz vor seiner Geburt verlassen. Schon als Jugendlicher ist er ein erfolgreicher Leichtathlet. Shapira studiert, heiratet und wird Vater von zwei Kindern. Seiner Leidenschaft für den Sport geht er auch nach dem Ende seiner aktiven Karriere nach. 1964 begleitet er das israelische Leichtathletik-Team als Trainer zu den Olympischen Spielen in Tokio. Nach seiner Rückkehr lernt er seine zweite Frau kennen. Die beiden bekommen zwei Kinder.

Für die Olympischen Spiele 1972 bereitet Shapira die Sprinterin und Hürdenläuferin Esther Shahamorov auf die Spiele vor und begleitet sie nach München. Israel setzt große Hoffnungen in die talentierte Sportlerin. Zur großen Freude von Shapira kann sie sich am 4. September für das Halbfinale im Hürdenlauf qualifizieren. Am Tag darauf dringt das palästinensische Kommando in die Unterkünfte der israelischen Sportler ein. Amitzur Shapira wird in der Nacht des 5. September in Fürstenfeldbruck von den Geiselnehmern erschossen.

Mark Slavin

מרק סלבין
31. Januar 1954, Minsk, damals Sowjetunion, heute Belarus – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Mark Slavin wächst als ältestes von drei Geschwistern in der Sowjetunion auf. Sein Großvater ermöglicht ihm den Besuch einer Elite-Sportschule, an der er als Ringer trainiert. Mit 17 wird Slavin sowjetischer Jugendmeister im Ringen. Slavin überzeugt seine Familie, mit ihm nach Israel auszuwandern, um dem antisemitischen Klima in der Sowjetunion zu entfliehen. Im Mai 1972, nur wenige Monate vor den Olympischen Spielen, wandert die Familie aus. Der talentierte Ringer kann sich innerhalb kürzester Zeit für die israelische Olympia-Mannschaft qualifizieren.

Damit Slavin bei den Olympischen Spielen in München für Israel antreten kann, wird seine Einbürgerung vorgezogen. In München bereitet sich der 18-Jährige mit seinem Trainer Moshe Weinberg auf die Wettkämpfe vor. Am 5. September, dem Tag der Geiselnahme, hätte sein erster Wettkampf stattgefunden. Mark Slavin wird in der Nacht des 5. September auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck von den Geiselnehmern erschossen.

Slavin (links) bei einem Wettkampf, Tel Aviv 1972
Hochzeit von Ankie und Andrei Spitzer, Den Haag 1971

Andrei Spitzer

אנדרי שפיצר
4. Juli 1945, Timişoara, Rumänien – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Andrei Spitzer verbringt seine Kindheit und Jugend in Rumänien. Seine Eltern haben den Holocaust dort überlebt. Spitzer entscheidet sich früh für den Fechtsport und gewinnt schon bald erste Wettkämpfe. Sein Vater stirbt, als Spitzer elf Jahre alt ist. Gemeinsam mit seiner Mutter emigriert er 1964 nach Israel. Dort gibt er seine Begeisterung für das Fechten an Jugendliche weiter. Er arbeitet als Trainer und reist 1968 in die Niederlande, um dort zu unterrichten. Dabei lernt er seine spätere Frau Ankie kennen. Im Juni 1972 wird ihre gemeinsame Tochter geboren.

Zwei Monate später reist Spitzer nach München, um die beiden Fechter Yehuda Weinstain und Dan Alon zu trainieren. Beide können der Geiselnahme im Olympischen Dorf entkommen. Andrei Spitzer wird in der Nacht des 5. September auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck von den Geiselnehmern erschossen.

Yakov Springer

יעקב שפרינגר
10. Juni 1921, Kalisz, Polen – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Yakov Springer wächst in Polen auf. Als Einziger in seiner Familie überlebt er die Shoah, weil er in die Sowjetunion fliehen kann. Seine Eltern und Geschwister werden deportiert und ermordet. Nach dem Krieg kehrt er nach Polen zurück und lernt dort seine spätere Frau kennen. Die beiden heiraten und bekommen zwei Kinder. Springer studiert und erhält eine Anstellung im Sportministerium in Warschau. 1957 wandert die Familie nach Israel aus, um der antisemitischen Stimmung in Polen zu entkommen. Dort arbeitet Springer als Sportlehrer und bildet Trainer für Gewichtheber aus.

Springer reist 1972 nach München, um die Wettkämpfe der Gewichtheber als Kampfrichter zu leiten. Er hat bereits zuvor als Kampfrichter an Olympischen Spielen teilgenommen. Sein letzter Einsatztag in München steht bevor, als die Palästinenser sein Appartement stürmen. Yakov Springer wird in der Nacht des 5. September auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck von den Geiselnehmern erschossen.

Springer als Kampfrichter, Israel 1961
Weinberg als Trainer des Ringers Eliezer Halfin, München 1972

Moshe Weinberg

משה ויינברג
19. September 1939, Haifa, damals Palästina, heute Israel – 5. September 1972, München

Moshe Weinberg, genannt Muni, wächst in Haifa bei seinen Großeltern auf. Seine Familie stammt aus Österreich und kann 1938 vor den Nationalsozialisten fliehen. Ein Nachbar kann ihn für das Ringen begeistern und trainiert ihn. Weinberg wird ein erfolgreicher Ringer und gewinnt mehrmals die israelischen Meisterschaften. Nach dem Ende seiner Karriere arbeitet er als Trainer am Wingate-Institut, dem israelischen Sportzentrum. Dort lernt er seine spätere Frau kennen. Anfang August 1972 wird ihr gemeinsamer Sohn geboren; knapp zwei Monate später bricht Weinberg nach München auf.

Bei den Olympischen Spielen in München betreut Weinberg die Ringer Eliezer Halfin und Mark Slavin bei ihren Wettkämpfen. Als das palästinensische Kommando in die Appartements der israelischen Sportler eindringt, widersetzt er sich den Angreifern. Weinberg wird von den Geiselnehmern niedergeschossen und stirbt. Er ist das erste Opfer der Geiselnahme.

Anton Fliegerbauer

5. März 1940, Landau an der Isar – 5. September 1972, Fürstenfeldbruck

Anton Fliegerbauer wächst mit seinen beiden Geschwistern im niederbayerischen Westerndorf auf. Seine Eltern bewirtschaften dort einen Bauernhof. Fliegerbauer bereitet sich zunächst auf die Arbeit in der Landwirtschaft vor, entscheidet sich dann aber für eine Ausbildung bei der Bayerischen Landespolizei. Er arbeitet fortan für die Polizei der Landeshauptstadt München. Während der Olympischen Spiele gehört er einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei an. Zu diesem Zeitpunkt ist Fliegerbauer 32 Jahre alt, verheiratet und Vater eines vierjährigen Sohnes.

Am 5. September 1972 wird er mit seiner Einheit nach Fürstenfeldbruck überstellt, um die dortigen Polizeikräfte bei der Befreiung der Geiseln zu unterstützen. Anton Fliegerbauer wird kurz nach dem Beginn des Schusswechsels von einer Kugel der Geiselnehmer getroffen. Er stirbt noch vor Ort.

Fliegerbauer mit seinem Sohn im Urlaub, Spanien um 1970